page title icon Den Opfern des 9. Novembers muss immer gedacht werden

Der 9. November 1938 ist ein Tag der deutschen Geschichte, der niemals vergessen werden kann, denn damals wurden zahlreiche jüdische Synagogen und Geschäftshäuser aus blankem Hass heraus zerstört. In Neuss wurde die Synagoge an der Promenadenstraße in Brand gesetzt. Mit diesem Tag startete aber auch die Judenverfolgung, die in Neuss Ende 1942 durch die vollständige Vertreibung und Deportation der in Neuss lebenden Juden beendet wurde.

Ich wurde als neuer Kulturausschussvorsitzender vom SPD-Ortsverein Neuss-Süd eingeladen, um den Opfern der Judenverfolgung zu gedenken. Hier meine zu diesem Anlass am 12. November 2017 gehaltene Rede:

„Der SPD-Ortsverein Neuss-Süd kommt heute zum 16. Mal in Gedenken an den düsteren 9. November 1938 zusammen. Als ihr im vergangenen Jahr an dieser Stelle den Opfern der Judenverfolgung im Dritten Reich gedacht habt, hielt eine Vorgängerin von mir im Amt des Vorsitzes des Kulturausschusses, Anni Brandt-Elsweier, die Rede. Vor rund zwei Monaten ist Anni von uns gegangen. Auch ihrem Einsatz vor mehr als 25 Jahren ist es zu verdanken, dass wir heute an dieser Stelle eine Gedenktafel für die letzten Bewohner dieses „Judenhauses“ sehen können. Deshalb möchte ich mich heute zuallererst für ihre Dienste bedanken.

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, so heißt es im Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums. Dieses Zitat passt nicht nur zur eben erwähnten Anni, sondern ist auch eine Initialzündung für eine weitere Art, der Judenverfolgung zu gedenken. Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat sich diesen Ausspruch zum Anlass genommen, die Namen der Opfer des Nationalsozialismus an vielen Stellen für immer zu verewigen, damit diese Personen und deren Leid niemals vergessen wird. Mit Messingsteinen, die im normalen Grau eines Gehwegs herausstechen, will Demnig die Menschen auf dieses Leid hinweisen, sie drüber stolpern lassen. Mit Namen, Geburtsjahr, Todesjahr und Todesort wird den Opfern an den Stellen gedacht, an denen sie einst wohnten.

Wie wir auch hier sehen können, werden in Neuss diese Stolpersteine verlegt. Seit dem Beschluss des Kulturausschusses am 1. Dezember 2004 wurden an 34 Standorten 81 Stolpersteine verlegt. Begleitet werden diese Verlegungen vom Stadtarchiv, die auch entspreche Erläuterungstexte erarbeiten und online zur Verfügung stellen.

Vor diesem Haus in der Küpperstraße 2 finden sich vier Stolpersteine, die an die Familie Rosenberg gedenken. Regina, Johanna, Albert und Martha, geboren zwischen 1884 und 1893 hier in Grimlinghausen, wurden im Oktober 1941 von Düsseldorf aus nach Litzmannstadt, dem heutigen Lodz ins Ghetto deportiert. Alle vier wurden im Verlauf des Jahres 1942 ermordet. Die am 26. Januar 2015 verlegten Steine erinnern an ihr Schicksal.

Auch den Bewohnerinnen und Bewohnern, die zwangsweise bis zum 22. Juli 1942 in diesem letzten Neusser Judenhaus untergebracht waren, wurden Stolpersteine an ihren alten Wohnhäusern gewidmet:

Albert und Julie Joseph, Drususallee 81
Johanna Frankenberg, Rheinuferstraße 94
Isaak und Hermine Gottschalk, Niederstraße 1
Max und Helene Müller, Further Straße 121

Auch in diesem Jahr wurden in Neuss weitere Widerstandskämpfer und Opfer des Nationalsozialismus in Messing verewigt. Der SPD-Ortsverein Neuss-Stadtmitte hat unter der Initiative von Michael Hohlmann beim Politischen Aschermittwoch 2016 Geld gesammelt, das für die Verlegung von weiteren Stolpersteinen eingesetzt wurde. Insgesamt kamen fünf Stolpersteine zusammen, die am 20. Februar und am 8. Mai 2017 in Neuss gesetzt wurden. Bei der Auswahl der Personen wurde darauf geachtet, dass neben Opfern des Holocausts auch Widerstandskämpfer geehrt werden. So finden sich die folgenden fünf Steine seit diesem Jahr im Neusser Stadtbild:

Weißenberger Weg 81: für Josef Giebels (1909-1996)
Giebels war SAP-Mitglied und im Widerstand aktiv. Er wurde 1935 verhaftet und wegen „Hochverrats“ zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Erneut verhaftet, musste er seit 1942 im Strafbataillon 999 dienen. 1945 wurde er aus dem Konzentrationslager Amstetten befreit.

Brandgasse 8: für Hermann Düllgen (1899-1944)
Düllgen war KPD-Mitglied und im Widerstand aktiv. Mehrfach verhaftet, wurde er 1936 wegen „Hochverrats“ verurteilt. Da er auch im Zuchthaus den Widerstand fortsetzte, wurde er zum Tode verurteilt und am 27. Oktober 1944 in Frankfurt-Preungesheim hingerichtet.

Rheinuferstraße 94: für Johanna Frankenberg (1869 – vermutlich 1942)
Johanna Frankenberg, geb. Levy, war die Witwe des 1929 verstorbenen jüdischen Viehhändlers und Metzgers Siegmund Frankenberg. Sie wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und im Vernichtungslager Treblinka ermordet.

Mühlenstraße 62: für Karl Frohwein (1885 – 1961)
Der jüdische Viehhändler Karl Frohwein, geboren 1885 in Grimlinghausen, lebte seit 1932 im Haus Mühlenstraße 62. Wohl wegen seiner Ehe mit einer „Arierin“ entging er den Deportationen aus Neuss und zog 1942 gemeinsam mit seiner Frau in ein „Judenhaus“ in Düsseldorf. Von dort wurde er (vermutlich im November) 1944 nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte das KZ und kehrte 1945 nach Neuss zurück, ebenso seine Frau. Karl Frohwein starb 1961 in Neuss.

Büchel 31: für Adolf Cohen (1871 – vermutlich 1942)
Adolf Cohen betrieb in Neuss seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein Warenhaus und war Mitglied im Vorstand der jüdischen Gemeinde. 1942 wurde er in ein Judenhaus in Düsseldorf eingewiesen. Von dort wurde Adolf Cohen 1942 nach Theresienstadt deportiert und im Vernichtungslager Treblinka ermordet.

In diesem Judenhaus hier lebten die anfangs genannten Personen bis zum 22. Juli 1942, am 23. November 1942 war Neuss mit der Deportation der in Mischehen lebenden Juden „judenfrei“. Heute leben wieder viele jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserer Stadt und leben ihre Kultur im jüdischen Kulturzentrum auf der Furth aus. Doch haben wir hier in Deutschland aus den Vorkommnissen der Zeit des Nationalsozialismus gelernt? Scheinbar nicht, konnte doch eine Partei, deren Mitglieder auch antisemitische Äußerungen tätigen, bei der letzten Wahl in den Bundestag einziehen. Das Internet bietet immer wieder einen Raum für antisemitische Äußerungen in Form von Verschwörungstheorien. Insbesondere der Name Rothschild wird in diesem Zusammenhang gerne genannt. Doch ist das Internet ein rechtsfreier Raum, in dem Hetze frei geäußert werden kann?

In diesem Jahr ist die Pogromnacht 79 Jahre alt. Eine schrecklich kurze Zeit, wenn man mal darüber nachdenkt. Wie viel in dieser Nacht, aber auch schon zuvor und erst recht danach, zerstört wurde, zeigt sich nicht nur an den vielen Steinen ermordeter oder vertriebener Juden, sondern auch an den fehlenden Bauwerken. So müssen wir feststellen, dass die Synagoge in der Neusser Innenstadt dieses Jahr 150 Jahre existieren würde. Heute gedenken wir den Opfern der Gemeinde in der Grünanlage an der Promenadenstraße unweit des damaligen Standorts der alten Synagoge. Diese fehlt leider seit 1938 im Straßenbild.

Mit den Gedenkveranstaltungen um den 9. November denken wir nicht nur an den Schicksalstag der Deutschen, an dem so viel geschichtlich Relevantes für Deutschland geschehen ist, sondern wir machen auf das Schicksal der Menschen aufmerksam, die über viele Generationen nicht in das Weltbild der Europäer gepasst haben.

Lassen Sie uns gemeinsam für die Toleranz kämpfen und allen kommenden Generationen zeigen, wie grausam der Mensch sein kann. Aus den Ereignissen von gestern muss man für morgen lernen. Und lassen Sie uns dafür sorgen, dass Menschen, die Ausgrenzung und Hass in den deutschen Bundestag bringen, nicht mehr lange ihre Parolen an diesem Ort aussprechen können.

Damit es nie wieder solche sinnlosen Opfer geben muss!“

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