Geschmack ist subjektiv! Mit diesem Satz, der mich sicherlich zwei Euro fürs Phrasenschwein kosten würde, möchte ich zwei Blog-Artikel der Seite designtagebuch.de aufgreifen, die auch die Stadt Neuss betreffen. Es geht um das neue Design der Stadt Kassel, die insbesondere den Kunst-Interessierten durch die „documenta“ bekannt sein sollte. Zum 1100-Jährigen Geburtstag hat sich die Stadt ein neues CD (Corporate Design) gestallten lassen, damit ein modernes Auftreten der Stadt gewährleistet werden soll. Dabei hat die Stadt mal nicht eine Agentur beschäftigt, die meistens für viel Geld auf viele schon bestehende Design-Elemente zurückgreift, sondern die eigenen Kunststudenten des Bereichs Visuelle Kommunikation. Dies hatte mehrere Vorteile:
- Studenten fordern und fördern
Durch die Vergabe an die eigene Hochschule fördert man die Studenten durch ein Praxisbeispiel, das sie komplett entwickeln dürfen. Das ist sicherlich eine wichtige Erfahrung für die Studenten und eine tolle Referenz. - Geringer Geldaufwand
Das gesamte Projekt hat „nur“ 75.000€ gekostet. Das ist im Vergleich zu vielen anderen Designschmieden sehr günstig. - Komplettes Design
Die Studenten haben nicht nur ein neues Logo entworfen, sie haben die gesamte Identität der Stadt Kassel verändert. Dazu gehört neben dem Logo auch neues Briefpapier, eine neue Homepage und Rastervorgaben für Broschüren. Auch wurden eine Farbtabelle und eine neue Schriftart entwickelt, wobei insbesondere bei der Schriftart die Kostenersparnis (laut designtagebuch) zu sehen ist. Im Durchschnitt kostet die Erstellung eines Schriftschnittes 15.000€, die Designstudenten haben sogar vier erstellt.
Warum soll das für die Stadt Neuss interessant sein? Ich habe hier mal die verschiedenen Auftritte der Stadt Neuss in der öffentlichen Wahrnehmung aufgeführt. Wie man sieht, ist das alles andere als einheitlich. Das erste Logo ist zum Beispiel das Logo, das auch im Briefverkehr verwendet wird. Der Slogan „Erlebnis am Rhein“ wird zusammen mit dem Neuss.de in Broschüren und auf der Homepage verwendet. Und die Neuss Marketing verwendet das Quirinus-Münster als Marke. Dabei erkennt man zwar durch den blauen Streifen eine gewisse Einheit, aber nur in den moderneren Auftrittsformen. Aber durchdacht wirkt das alles nicht. Sicherlich wäre ein neuer Markenauftritt auch etwas für die Stadt Neuss, besonders wenn dieser sich durch alle Bereich wie auch der Neuss Marketing zieht.
Doch wie die Vergangenheit zeigt, sollte die Stadt Neuss aufpassen, wie sie ihr neues Design präsentiert und möglichst rechtzeitig die lokale Presse einbinden. Denn die Verwaltung in Kassel muss jetzt wieder erleben, wie die Zeitungsmacher, die eigentlich neutral berichten sollten, sich mal wieder zu Meinungsmachern aufspielen. Das Problem dabei ist aber die Kompetenz. Wenn ich im Kulturteil eine Meinung zu einem Theaterstück lese, dann hat der entsprechende Redakteur oder die entsprechende Redakteurin Erfahrung in dem Bereich, idealerweise kommt die schreibende Person sogar aus dem Bereich. Doch wie viele Designer sitzen in den Redaktionen dieser Republik? Wenn der Lokalreporter aus Pusemuckel über ein neues Logo berichtet, wie viele Vergleiche zieht er dann?
Kann er die Qualität der neuen Identität einordnen und dann auch näher bringen? Ich bezweifle das und bin damit nicht alleine. Wie in beiden Artikeln im designtagebuch deutlich wird, geht es den lokalen Journalisten meist nur um ihre subjektive Wahrnehmung, vergleiche werden kaum gezogen. So wurde am neuen Logo von Kassel ein fehlender Bindestrich kritisiert, der gestalterisch kaum in modernen Logos wiederzufinden ist. Stattdessen wird mit visueller Hervorhebung wie der Variation von Farbe oder Schriftbild ein Bindestrich ersetzt. Dies wird heute so gemacht und dies kann man gut oder schlecht finden, aber falsch ist das nicht.
Für mich als Kommunalpolitiker stellt sich nun die Frage, wie ich in der Situation handeln würde. Sollte ein Stadtrat versuchen, die Pläne zu verhindern, weil ein Teil der durch einseitige Berichterstattung beeinflussten Bevölkerung die neuen Entwürfe schlecht findet, auch wenn die Ausgaben schon getätigt wurden? Braucht man denn überhaupt ein einheitliches Auftreten oder kann jedes Amt selber entscheiden, wie es sich nach Innen und Außen präsentiert? Oder sollte man einfach mal vergleichen und Mut beweisen, auch neue Designaspekte zuzulassen?
Im Fall Kassel ist meine Meinung klar: Das Design ist modern, individuell und insbesondere gelungen. Es passt zur Erscheinung der Stadt und insbesondere zur Ausstellung für zeitgenössische Kunst, der documenta (Die Schreibweise der Ausstellung ist ja auch nicht sehr gewöhnlich). Die Stadt Kassel und insbesondere die Studenten der Hochschule haben viel Mut bewiesen und ein gutes Gesamtkonzept vorgelegt, von dem viele Städte nur träumen können. Aber auch viele andere moderne Entwürfe anderer Städte haben mir gezeigt, dass auch eine Stadt sich um ihren Außen-Auftritt kümmern muss. Denn neu heißt auch interessant. Ein weiteres gelungenes Beispiel ist das der Stadt Burghausen. Im Vergleich zum alten Auftreten ist das Neue auch um einiges moderner und deshalb wird auch die Stadt interessanter. Deshalb müssen wohl alle Bürger einer Stadt sich daran gewöhnen, dass sich das Design öfter als früher ändert. Und so subjektiv Design ist, so lebendig ist Design auch. Die letzten Jahre haben viele Veränderungen mit sich gebracht und insbesondere die Veränderungen in den Gestaltungsmöglichkeiten am PC und durch moderne Druckmaschinen lassen andere, neue Ideen zu. So sollte man sich auch bei Städten und Gemeinden an ein Intervall von 10 Jahren gewöhnen, in denen ein Design „haltbar“ ist.
Als Fazit bleibt mir nur zu sagen: Klasse Kassel! Der Mut zur Veränderung und das Vertrauen den eigenen Studenten gegenüber wird sich bezahlt machen, auch gegen den Druck der Massenmedien, denen Meinungsmache in manchen Bereichen wichtiger scheint als Objektivität.